Rülzheim (Rheinland-Pfalz)

Germersheim (Landkreis) KarteRülzheim ist eine Kommune mit derzeit ca. 8.400 Einwohnern im Landkreis Germersheim (und Sitz der gleichnamigen Verbandsgemeinde) – knapp 20 Kilometer südöstlich von Landau bzw. 35 Kilometer nordöstlich von Karlsruhe gelegen (topografische Karte 'Pfalz' ohne Eintrag von Rülzheim, Lencer 2008  und Kartenskizze 'Landkreis Germersheim', in: ortsdienst.de/rheinland-pfalz/germersheim).

 

Die jüdische Gemeinde in Rülzheim war in den Jahrzehnten um die Mitte des 19.Jahrhunderts eine der mitgliederstärksten in der Südpfalz und zählte damals maximal nahezu 500 Angehörige.

Rülzheim, eines der ältesten Dörfer der Südpfalz, gehörte seit dem Mittelalter zum Hochstift Speyer. Erstmals wird die Existenz eines Juden 1667 in der Rülzheimer Chronik erwähnt. Im 18.Jahrhundert ließen sich vertriebene Juden aus Speyer in den Dörfern des Umlands nieder und bildeten hier kleine Judensiedlungen. Am Ende des 18.Jahrhunderts lebten ca. 400 Juden in den Dörfern des Hochstifts Speyer; von diesen lebten die meisten in Rülzheim.

Schutzbrief aus dem Jahr 1779

Mit der Anwachsen der jüdischen Bevölkerung in den Jahrzehnten bis Mitte des 19.Jahrhunderts war die Notwendigkeit der Errichtung einer größeren Synagoge gegeben. Seit ca. 1750 soll es bereits eine kleine Synagoge bzw. Betstube in der Kuntzengasse in Rülzheim gegeben haben; nach ihrem Abbruch (1832/1833) wurde an gleicher Stelle eine neue und größere Synagoge – im ägyptisierenden Stil – errichtet, die über 125 Männer- und 75 Frauenplätze verfügte; für den Bau verantwortlich zeichnete der bekannte Architekt und bayrische Hofbaumeister August von Voit. Über dem Portal war in Hebräisch die Inschrift „Öffnet die Tore, daß einziehe ein gerechtes Volk, welches die Treue bewahrt (Jesaja 26,2)“ angebracht worden. Im Keller des Gebäudes befand sich eine Mikwe, die noch bis 1913 genutzt wurde.

    aus: „Der Israelit" vom 9. 5. 1866 und 28. 10.1891

           aus: „Der Israelit“ vom 13.5.1909

Im Ort gab es die einzige Mazzenbäckerei der Pfalz; daneben gewährleistete auch eine koschere Metzgerei die Einhaltung der rituellen Speisevorschriften.

Anfang des 19.Jahrhunderts wurde in Rülzheim eine jüdische Elementar- und Religionsschule unmittelbar neben der Synagoge gebaut. Mitte des Jahrhunderts besuchten mehr als 100 jüdische Kinder diese Schule. Im Jahre 1932 wurde die Schule wegen Schülermangels aufgelöst.

Zunächst begruben die Rülzheimer Juden ihre Verstorbenen auf den großen jüdischen Friedhöfen in Essingen bzw. Ingenheim; doch wegen der großen Distanz wurde der Rülzheimer Gemeinde die Auflage gemacht, ein eigenes Friedhofsgelände anzulegen. Um 1825 erwarb die Gemeinde einen eigenen Begräbnisplatz auf einer Anhöhe zwischen Rülzheim und Herxheimweyher. Dieser wurde als Verbandsfriedhof auch von den Juden aus Bellheim, Germersheim, Hagenbach, Leimersheim u.a. genutzt.

Zur jüdischen Gemeinde in Rülzheim gehörten seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch die in Kandel wohnenden jüdischen Personen.

Juden in Rülzheim:

       --- um 1750 .........................   8 jüdische Familien,     

    --- 1777 ............................  13     “        “   ,

    --- um 1810 ..................... ca. 180 Juden (ca. 10% d. Bevölk.),

    --- 1825 ............................ 237   “  ,

    --- 1836 ............................ 309   “   (ca. 17% d. Bevölk.),

    --- 1848 ............................ 490   "  ,

    --- 1857 ............................ 457   “  ,

    --- 1877 ............................ 380   “  ,*

    --- 1890 ............................ 312   “  ,

    --- 1900 ............................ 289   “  ,

    --- 1925 ............................ 212   “  ,

    --- 1932/33 ..................... ca. 185   “  ,

    --- 1937 ............................ 117   “  ,

    --- 1938 ............................ 119   “  ,

    --- 1939 ............................  37(?)“  ,

    --- 1940 ............................  keine.

* In der Pfarrchronik ist eine wesentlich höhere Zahl angegeben, nämlich mehr als 600 (?).

Angaben aus: Ernst Marthaler (Bearb.), Rülzheim/Pfalz - Zum Gedenken und zur Erinnerung, S. 24

 

Bis zu Beginn des Kaiserreiches war Rülzheim ein reines Bauerndorf; erst dann setzte mit der Zigarrenfabrikation ein Umstrukturierungsprozess ein, der bis zum Ersten Weltkrieg die Region wirtschaftlich bestimmte; Fabrikation (z.B. die Zigarrenfabriken J. Feibelmann & Söhne) und den Handel mit Tabakwaren dominierten jüdische Unternehmer.

Auch waren Rülzheimer Juden als Viehhändler im gesamten süddeutschen Raume bekannt. Die wirtschaftliche Bedeutung der Juden für den Ort Rülzheim war enorm; bis um 1930 wurde mehr als die Hälfte des gesamten Steueraufkommens der Kommune von jüdischen Geschäftsleuten und Unternehmern aufgebracht. Allerdings waren ab Ende des 19.Jahrhundert auch immer mehr Juden aus Rülzheim in die größeren Städte abgewandert. Trotzdem herrschte bis in der NS-Zeit im Ort ein reges jüdisches Gemeindeleben.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20179/Ruelzheim%20Israelit%2021101897.jpg  http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20143/Ruelzheim%20Israelit%2026101899.jpgLehrstellenangebote der Handlung S. Landauer von 1897/1899

Anfang der 1930er Jahre setzte sich die jüdische Gemeinde aus ca. 200 Angehörigen zusammen. Bereits knapp zwei Wochen vor dem Novemberpogrom von 1938 wurde jüdisches Eigentum beschädigt; in dem Bericht des Regierungspräsidenten Pfalz vom Oktober hieß es:

„ ... In Rülzheim (Bezirk Germersheim) wurden in der Nacht vom 29. auf 30.10.1938 fast alle Judenhäuser mit roter Farbe beschriftet, wie Hängt die Juden, Kriegshetzer, Juden tot. Die Juden beseitigten die Inschriften, erstatteten aber in keinem Fall Meldung. ... Der Grund zu diesem Vorgehen der Bevölkerung lag in der Beobachtung, daß die Juden in den Tagen der Hochspannung aus ihrem Benehmen erkennen ließen, sie wünschten einen Krieg. ...”

In der Pogromnacht von 1938 kam es auch in Rülzheim zu gewalttätigen Ausschreitungen, die angeblich vor allem von ortsfremden Personen getragen wurden; so wurde die Synagoge demoliert: Fenster, Inneneinrichtung und das Dach wurden zerstört, Ritualgegenstände im Hof verbrannt bzw. entwendet. Eine Brandlegung des Gebäudes konnte noch verhindert werden. Die jüdischen Männer wurden ins KZ Dachau verschleppt; Frauen, Kinder und alte Leute mussten Rülzheim umgehend verlassen, durften aber wieder zurückkehren. In der Zwischenzeit waren ihre Wohnungen aufgebrochen und teilweise geplündert worden. Im Laufe des Pogroms wurde auch der jüdische Friedhof verwüstet; so soll ein Drittel aller Grabsteine zerstört bzw. zweckentfremdet verwendet worden sein. Die mehr als 100 Juden, die noch in Rülzheim verblieben waren, verließen nun den Ort und zogen in benachbarte Großstädte wie Karlsruhe und Mannheim, oder sie gingen in die Emigration. Ende 1939/Anfang 1940 soll in Rülzheim kein einziger jüdischer Bewohner mehr gelebt haben.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden insgesamt 98 aus Rülzheim stammende bzw. längere Zeit hier ansässig gewesene jüdische Bürger Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/rudesheim_synagoge.htm).

 

Nach Kriegsende ließ die Kommune Rülzheim die größten Schäden am jüdischen Friedhof beseitigen; so wurden wiederaufgefundene Grabsteine wieder an ihren einstigen Platz zurückgebracht. Nach einer Sanierung in den 1970er Jahren wurde zehn Jahre später das Denkmalschutzverfahren für den jüdischen Friedhof eingeleitet. Heute findet man auf dem recht gepflegten Areal ca. 420 Grabsteine.

Ruelzheim jued Friedhof.jpg

jüdischer Friedhof von Rülzheim (Aufn. M., 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2036/Ruelzheim%20Friedhof%20153.jpg  http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2036/Ruelzheim%20Friedhof%20165.jpg  http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2036/Ruelzheim%20Friedhof%20164.jpg  

reich ornamentierte Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof in Rülzheim (Aufn. J. Hahn, 2005)

Das ehemalige Synagogengebäude in der Kuntzengasse diente zunächst als Lagerraum; 1957 nutzte die katholische Kirchengemeinde das Haus als Jugendheim; Mitte der 1980er Jahre wurde das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt. Nach dessen Erwerb durch die Kommune (1988) wurde es wenige Jahre später renoviert; seit 1991 steht die ehemalige Synagoge als „Geschichts- und Begegnungsstätte“ der Öffentlichkeit zur Verfügung.

   

    Restauriertes Synagogengebäude (Aufn. Gerd Eichmann, 2017, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0  und  I., 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0

Im Gebäude trägt eine Gedenktafel - gestiftet von ehemaligen Rülzheimer Juden - die folgende Inschrift:

In diesem Gebäude

hielt die Israelitische Kultusgemeinde Rülzheim von 1833 bis 1938 ihre Gottesdienste ab.

Die Synagoge wurde am 10.November zerstört und geschändet.

         Wir gedenken der Rülzheimer jüdischen Familien,

die in der Nazizeit aus ihrer Heimat vertrieben und ermordet wurden.

...

     Da sprach der Herr zu Kain:

     Wo ist dein Bruder Abel ?

Datei:Gedenktafel Synagoge Rülzheim.JPG Namenstafel mit Nennung der Mitglieder der jüdischen Familien der Gemeinde Rülzheim, die Opfer der NS-Verfolgung geworden sind (Aufn. S. Zimmermann, 2014, aus: rhein-neckar-wiki.de)

Im Jahr 2013 wurde das gesamte Gelände in der Ortsmitte einer Neugestaltung unterzogen. Die ehemalige Synagoge ist nun Bestandteil des 2014 eröffneten Gebäudeensembles „Centrum für Kunst und Kultur“, in dem u.a. Ausstellungen, Konzerte und weitere kulturelle Veranstaltungen stattfinden.

Im Zuge der Restaurierung des Synagogengebäudes wurde die ehemalige jüdische Schule 1990 abgerissen.

 

 

 

In Kandel wurden 2012 sechs sog. „Stolpersteine“ verlegt; fünf davon erinnern in der Rheinstraße an Angehörige der jüdischen Familie Haas, die hier ehemals einen Handel mit Futtermitteln und landwirtschaftlichen Bedarf betrieben hatte.

Stein für Bertha Haas (Abb. aus: "Pfalz-Express", 2019)

 

 

 

Weitere Informationen:

Alois Johann, Wo sind unsere jüdischen Mitbürger geblieben ?, in: "Rülzheimer Heimatbrief", 4/1966, Heft 2

Alois Johann, Der “Rülzheimer Heimatbrief” überwindet rassische und politische Vorurteile, in: "Rülzheimer Heimatbrief", 5/1967, Heft 4, S. 3 - 7

Hermann Arnold, Juden in der Pfalz - Vom Leben pfälzischer Juden, Pfälzische Verlagsanstalt, Landau/Pfalz 1986

B. Kukatzki, Kleines Haus zeugt von jüdischer Tradition - Synagoge in Rülzheim, ein Überbleibsel der jahrhundertealten Geschichte der Kultusgemeinde, in: "Die Rheinpfalz - Ausgabe Pfälzer Tageblatt" vom 24.1.1986

Judenfriedhöfe werden unter Denkmalschutz gestellt. In Rülzheim größere Grabstätte mit typischen Merkmalen, in: "Die Rheinpfalz" (Ausgabe Germersheim) vom 7.11.1986

Karl Fücks/Michael Jäger, Synagogen der Pfälzer Juden. Vom Untergang ihrer Gotteshäuser und Gemeinden, Hrg. Jüdische Kultusgemeinde der Rheinpfalz, Neustadt/Weinstraße 1988, S. 192 - 194

Rainer Joha Bender, Die soziale und wirtschaftliche Entwicklung der jüdischen Gemeinde von Rülzheim, o.O. 1988

Ernst Marthaler (Bearb.), Rülzheim/Pfalz - Zum Gedenken und zur Erinnerung verausgabt anläßlich des Treffens der früheren jüdischen Bürger in Rülzheim Oktober 1988, Rülzheim 1988

Alfred Hans Kuby (Hrg.), Juden in der Provinz. Beiträge zur Geschichte der Juden in der Pfalz zwischen Emanzipation und Vernichtung, Verlag Pfälzische Post, 2.Aufl., Neustadt a.d.W. 1989

Martin Wenz, Die Rülzheimer Synagoge - ein Frühwerk von August Voit, in: "Pfälzer Heimat", 41/1990, S. 84 - 86

Rainer J. Bender (Red.), Die soziale und wirtschaftliche Entwicklung der jüdischen Gemeinde von Rülzheim, in: Gemeinde Rülzheim (Hrg.), Rülzheim im Wandel der Zeiten - Ortschronik der Gemeinde Rülzheim, Rülzheim 1991, Teil II, S. 1 - 43

Bernhard Kukatzki, “ ... das einzige Hotel in der ganzen Gegend des koscher geführt wurde”: Das Hotel Victoria in Rülzheim, Schifferstadt 1994

Rülzheim mit Kandel, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie, vor allem personenbezogene Texte und zahlreichen Aufnahmen vom Friedhofsareal)

Karl Geeck (Red.), Der jüdische Friedhof in Rülzheim: Betrachtung und Dokumentation „... eingebunden in den Bund des Lebens!“, hrg. von der Gemeinde Rülzheim, Rülzheim 1998 (2. Aufl., 2000)

Otmar Weber, Die Synagogen in der Pfalz von 1800 bis heute: unter besonderer Berücksichtigung der Synagogen in der Südwestpfalz, Hrg. Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Pfalz, Landau 2005, S. 138 f.

Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 326 - 328

Auflistung der in Kandel verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Kandel

ws (Red.), Kandel: Stolpersteine neu verlegt - „Nie wieder“, in: „Pfalz-Express“ vom 12.11.2019

Schutzbrief des Feist Hertz, in: sharedhistoryproject.org/object/letter-of-protection-of-feist-hertz (Objekt 18, Mai 2021)